An allen anderen Tagen nicht
Ein Lebensstück von Carola v. Seckendorff mit Gabriele Brüning
Wenn ein Mensch ins Hospiz geht, weiß er in der Regel, dass dies zwar nun unwiderruflich der letzte Abschnitt seines Lebens ist, aber das auch dieser Abschnitt würdevoll, bewusst und intensiv gelebt sein will, jenseits von Intensivmedizin und Krankenhaussterilität. Eine Bewohnerin des Johannes Hospiz und eine Bewohnerin des lebensHAUS haben erzählt, über ihr Leben im Augenblick nahe dem Tod und vom Glück im Hospiz sein zu dürfen. Wir haben uns dieser Erzählung gestellt, reflektieren über die eigene Endlichkeit und machen mit großer Lebens- und Spiellust erfahrbar, dass Sterben die letzte Chance ist, das Leben und den Augenblick zu schätzen.
In großer Dankbarkeit Helga Körner und Bianca Wenning gewidmet. Mit freundlicher Unterstützung des Johannes Hospiz und des lebensHAUS.
GABRIELE: „Kennen Sie das Gefühl aufzustehen und zu wissen, dass jeder Schritt, den man tut, ein Schritt in die Zukunft ist, rauszugehen und zu sehen, dass diese Zukunft nur ein Rest ist, sich auf dem Weg zum Supermarkt einreden, dass diese Zukunft ein Leben ist und nicht der Rest eines Lebens, kennen Sie das?“
– Svenja Viola Bungarten
Helga Körner (*12.10.1939 – 9.6.2018)
Mein Wunsch wars immer ins Johannes Hospiz zu gelangen, um meine letzten Tage dort zu verbringen. Ich habe ein Krebsleiden, was nicht heilbar ist. Die Atmosphäre ist einmalig. Der Friede, diese Harmonie.
Ich habe vier Kinder geboren und bin schon lange verheiratet. Ich bin 78 Jahre alt. Ich habe keine Schmerzen, es geht mir gut, ich habe eine wunderbare Atmosphäre um mich. Besser gehts gar nicht. Irgendwann kommen die Schmerzen, aber deswegen muss ich jetzt nicht traurig sein. Daran denk ich auch noch gar nicht. Ich bin froh und dankbar für jeden Tag, der mir bleibt, wo es mir einigermaßen gut geht. Vor dem eigentlichen Tod habe ich gar keine Angst. Ich weiß es wird vielleicht ganz anders sein, als wir es uns vorstellen. Aber ich glaube, dass es irgendwie weitergeht, da oben. Doch. Dieser Frieden, diese Harmonie, die hier herrscht, auch unter den Angestellten gegenseitig und den Patienten gegenüber – das habe ich noch nie erlebt. Ich genieße jeden Tag. Ich denke nicht mehr zurück, das ist vergangen, das ist gewesen, das ist gut gewesen oder weniger gut. Nein. Das ist hier mein neues Leben. Ein zufriedenes ein schönes Leben. Ich weiß, dass das nicht immer so bleiben wird, aber deswegen kann ich nicht heute schon mit einer Trauermiene rumlaufen. Ich genieße wirklich jeden Tag, der mir noch bleibt, wo es mir noch einigermaßen gut geht, wo ich keine Schmerzen habe. Das gehört dazu. Das ist das Leben. Mein Mann hat auf Lauheide eine Eiche, einen Baum erstanden – ich kriege ein Baumurnengrab. Ich möchte mit dem Baum eins werden oder mit der Wurzel des Baumes.
Bianca Wenning (*3.6.1973 – 29.6.2018)
Ich bin 45 Jahre alt, am Sonntag geworden und bin seit drei Wochen hier im Lebenshaus. Als ich vor drei Wochen hier angekommen bin, habe ich wirklich gedacht: Nee, das ist ganz schrecklich.
Die Pfleger haben mir geholfen, weil die so liebevoll sind. Bei jedem anderen Menschen draußen würde ich sagen, das ist so eine aufgesetzte Freundlichkeit, aber hier ist das wirklich gelebt. Es ging bei mir ganz schnell von „Ich kann mich noch einigermaßen auf den Füßen halten“ bis wirklich Querschnittslähmung und mit dieser Querschnittslähmung war es völlig klar, dass ich nicht mehr nach Hause kann, auch nicht zu Besuch, d.h. dieser Ort wird mein letzter Ort sein.
2010 war die Erstdiagnose Brustkrebs – naja was ist Brustkrebs? Brustkrebs hat ja mittlerweile jede zweite oder dritte Frau – ist ja alles nicht so wild. Ich habe es ganz viele Jahre verdrängt. Und jetzt ist der Punkt wo die Krebszellen den Körper in Angriff genommen haben, aber meinen Kopf nicht. Meinen Körper kann er haben, aber nicht meinen Kopf. Jetzt habe ich endlich mal begriffen, dass ich krank bin. Das hat lange gedauert. Die Kinder sind jetzt aus dem Gröbsten raus. Sind 10 und 15 Jahre alt jetzt. Ich habe immer beim Kleinen gedacht: Du musst das schaffen, dass er eine Erinnerung an dich hat. Und das ist jetzt so. Er war gerade noch zu Besuch da. Wir haben gerade noch ein Eis gegessen. Der Große verarbeitet das, indem er einfach so Sprüche reißt wie: Mama bleib doch sitzen! Oder wenn ich jetzt rückwärts zurückgeschoben werde, dann kommt dieses typische Geräusch wie bei der Müllabfuhr: Hu hu hu hu hu. Ich will nicht mehr traurig sein. Ich habe ganz viel geweint. Wir haben innerhalb der Familie ganz viel geweint und ich habe auch ganz viel mit meinem Mann zusammen geweint, aber jetzt will ich ganz einfach nicht mehr weinen. Wir können jetzt frei aufspielen.
Ich liebe das Leben und ich liebe dieses Leben. Ich hoffe, dass der Tod einigermaßen gnädig ist – Das Einzige, was macht, dass ich weinen muss, das ist, dass ich meine Familie verlassen muss, das ist der Hauptkern, aber Angst vor dem Tod? Nein. Mein Mann sagt, ich bin ein Engel, der eben mal kurz auf Durchreise war – ja! – Mit meinen Kindern spiele ich mit dem Gedanken, dass ich gerne ein Stern sein möchte, wenn ich dann sterbe, dass die Kinder dann einen Punkt anfixieren können. Ich finde das eigentlich ganz charmant ein Stern zu sein.
Ich sehe das als ein absolutes Privileg an, genau jetzt diesen Lebensabschnitt, den Tod, so bewusst zu erleben. Es wird ein Ende geben, ja klar, das ist uns völlig bewusst, aber der Schrecken Tod ist nicht da. Es wird traurig sein, aber es wird keinen bodenlosen Fall geben. Ich sitze hier und irgendwann wird es so sein, dass ich hier nicht mehr sitze – aber es ist in Ordnung so. Es ist ein schönes Gefühl diesem Lebensabschnitt so gelassen und ruhig entgegenzutreten. Ich bin so froh, dass ich hier bin! Ich lebe hier so bewusst, bewusster kann ich nicht mehr leben –
GABRIELE: Aber Bianca, eines Tages werde ich sterben!
BIANCA: Ja, liebe Gabriele, aber AN ALLEN ANDEREN TAGEN NICHT.
Regieassistenz Judith Reef
Termin
Premiere im Rahmen von „24 Stunden Münster“ im Oktober 2018