Hörst Du? JETZT!

Ein performatives Fluxus-Oratorium zum Augenblick

„Welche Intensität entfaltet das Leben gerade jetzt? Was ist das ganz Besondere an dem, was ich jetzt erlebe und nur jetzt erleben kann? Sonst sind wir so fixiert auf das, was am Ende unter dem Strich herauskommt, dass wir das Wesentliche verpassen. Wir erleben nicht wirklich und in der Tiefe, was es in diesem Moment zu erleben gibt; und weil wir es nicht erleben, kann daraus aus nichts Neues entstehen. Solange wir die Gegenwart als verbesserungsfähigen Mangelzustand betrachten und auf einen zukünftigen Zahltag warten, können wir gar keine echte Erfüllung erfahren.“
– Natalie Knapp

Das Theater erscheint als ideales Medium einer Auseinandersetzung mit unserem Verhältnis zum Jetzt. Obwohl das Potential des Theaters in der Einmaligkeit des Ereignisses liegt, sind die Bemühungen um seine Wiederholbarkeit allgegenwärtig. In den meisten Fällen basiert Theater auf Texten, Vorarbeiten, präzisen Vereinbarungen. So ist in vielen Fällen gerade die Kunstform, deren Geheimnis mit der (einmaligen) Begegnung zwischen Schauspieler und Zuschauer liegt, eine Verneinung des Augenblicks. Außen vor bleibt eine direkte Erfahrung des Jetzt, eingebettet in eine Entwicklung zwischen Vergangenem und Zukünftigem. Darum ist jeder Versuch, das Theaterereignis in eine Wiederholbarkeit zu bringen, paradox. Der Augenblick wird beseitigt, um dann zu simulieren, das, was auf der Bühne geschieht, sei spontan, unmittelbar und neu – und gleichzeitig den Zuschauer glauben zu machen, dass er den gleichen Theaterabend erlebe, wie der Zuschauer von gestern. Genau diese Paradoxie im Verhältnis zum Jetzt im Theater erscheint uns als Zugang zu unserem eigenen Konzept von Zeit und Raum. Mit Hörst Du? JETZT! katapultieren wir uns und jeden einzelnen Zuschauer in der Form eines performativen Fluxus-Oratoriums in den Augenblick. Fluxus ist Inbegriff des vergänglichen Moments, kollektive Lebensform, Fluss zwischen Leben und Kunst und eine Einladung zur Partizipation. Im Wissen darum, dass jeder Moment von Einmaligkeit geprägt ist, suchen wir nach Wiederholbarkeit. Es entsteht eine performative Collage: als erzählend-interaktive Komposition aus immer wieder neu zu gruppierenden Sequenzen und verschiedenen spielerischen Zugriffen. Gegenstand ist die Frage nach der Möglichkeit des Theaters und der Musik, eine Konzentration auf die Gegenwart vor Ort herzustellen. Ausgehend von Beobachtungen des aktuellen Moments – der Situation im Theaterraum, der Theaterumgebung, der Stadt – begeben sich 2 Schauspielerinnen und zwei Musikerinnen in Form einer Jamsession auf die Suche nach dem Augenblick: im Theater, im Leben, als Fetisch, Ausweglosigkeit, Krise und Wendepunkt. Dabei begegnen sich die Lebenswirklichkeit der im Theaterraum versammelten Menschen mit den Akteur:innen. Fluxus ist Nicht-Wiederholbarkeit: Keine Aufführung wird der anderen gleichen. Alle Beteiligten sollen körperlich und mental in Bewegung kommen. Ziel ist ein außergewöhnliches Erlebnis, Erkenntnis, Verunsicherung, Spiel, Poesie sowie pure Lust am Scheitern und am Dasein im Jetzt. Wir konstruieren Situationen und generieren soziale Interaktionen, die individuelle und anekdotische Erfahrung der Zuschauer ermöglichen.  Wir suchen im Jetzt des Theaterraums und der Stadt Münster als unmittelbarer Umgebung nach Momenten des spontanen und persönlichen Austauschs zwischen Menschen. Indem wir einen Spielraum für das Jetzt generieren, ermöglichen wir den Akteur:innen und den Zuschauer:innen, ja nach ihrer eigenen Partizipationsbereitschaft, sich auf diese Spielvereinbarung einzulassen. Wir eröffnen Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Jetzt-Verhältnis.  Wir fokussieren die spezifische Qualität der direkten Erfahrung im Theater auf der Suche nach seiner Einzigartigkeit, der unerlässlich symbiotischen Beziehung zwischen Akteuer:in und Zuschauer:in und der Faszination des Augenblicks.

„WLADIMIR: Was tun wir hier, das muss man sich fragen. Wir haben das Glück, es zu wissen. Ja, in dieser ungeheuren Verwirrung ist eines klar: wir warten darauf, dass Godot kommt.
ESTRAGON: Ach ja.
WLADIMIR: Oder dass die Nacht kommt… Sicher ist, dass die Zeit unter solchen Umständen lange dauert und uns dazu treibt, sie mit Tätigkeiten auszufüllen… Du wirst mir sagen, dass es geschieht, um unseren Verstand vor dem Untergang zu bewahren…
ESTRAGON: Wir werden alle verrückt geboren. Einige bleiben es….
WLADIMIR: Wir warten. Wir…langweilen uns zu Tode, das ist unbestreitbar. Gut. Es ergibt sich eine Ablenkung, und was tun wir? Wir lassen sie ungenutzt.“
– Aus „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett.

Konzeption Carola v. Seckendorff, Cornelia Kupferschmid
Musik Anja Kreysing
Regieassistenz Swantje Kuckert